Christoph Schulze zum Thema BBI: „Sie alle sind verraten und verkauft worden!“
Eichwalde. Eine deutliche Sprache wählte der Landtagsabgeordnete Christoph Schulze bei der Podiumsdiskussion über Lärm in Eichwalde gestern (10.6.2011). „Es muss Schluss sein mit dem Bruderkrieg zwischen den einzelnen Bürgerinitiativen“, sagte der SPD-Politiker bezogen auf die politische Fehlentscheidung, den Flughafen am Standort Schönefeld als Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) zu bauen. „Sie sind hier alle Kanonenfutter. Das müssen sie bei Ihren Protesten rüber bringen“, fügte er hinzu und erntete damit großen Beifall von den rund 100 Menschen im Kulturzentrum Alte Feuerwache in der Bahnhofstraße. Die Wähler Initiative Eichwalde (WIE) hatte zu der Diskussion eingeladen.
Alf Hamann (WIE) hatte es zu Beginn schwer, die erhitzten Gemüter zu beruhigen und die Bürger zum Zuhören der Kurzvorträge der Kommunalpolitiker zu bewegen. „Viele fordern einen Baustopp und sprechen mir dabei aus dem Herzen. Ich halte das aber für nicht realistisch“, sagte Hamann. Für einen Bürger war diese Äußerung gleich am Anfang zu viel. Er bezichtigte ihn, er wolle die Diskussion weich kochen und verließ mit einem weiteren unter Protest den Saal. Dieter Horn, Mitglied des Bürgervereins Brandenburg Berlin (BVBB) drängte sich vor und riss das Wort an sich, bevor der Gastredner mit seinem Beitrag beginnen konnte. Er ließ sich von Moderator Hamann nicht davon abhalten. Von Zuhörern wurde er immer wieder darum gebeten sich zu setzen und sich an die Tagesordnung zu halten. Er ließ sich nicht davon beeindrucken und übergab das Nachnutzungskonzept für den BBI, das der BVBB kürzlich vorstellte, an den Landtagsabgeordneten Schulze.
Der BBI ist eine machtpolitische Frage
„Es ist beängstigend, wie unterschiedlich die Meinungen in Sachen BBI auseinander gehen. Aber Sie sind verraten und verkauft worden“, sagte Schulze. Das kürzlich in der Berliner Zeitung erschienene Interview mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe habe ihm verdeutlicht, dass Stolpe gegen seine Überzeugung gehandelt hat. Nun seien in Schönefeld rund drei Milliarden Euro vergraben worden. „Wir können nicht erwarten, dass die BBI-Verantwortlichen uns entgegen kommen, die wollen das nicht“, erklärte Schulze. Es sei eine machtpolitische Frage. Denn 95 Prozent der Leute in Berlin und Brandenburg seien vom Fluglärm gar nicht betroffen. Hier werde Politik im Stile Machiavellis gemacht (Anm. d. Red.: Der Erfolg heiligt die Mittel). „Dafür bin ich nicht 1989 auf die Straße gegangen“, fügte er hinzu.
Er glaube nicht daran, dass sich dieses Projekt zum Scheitern bringen ließe. „Aber, was wir hin bekommen müssen, ist das strikte Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr“, sagte Schulze. Allein das sei schon schwierig zu erreichen. Er habe gemeinsam mit den Grünen und weiteren Abgeordneten einen Antrag zum Nachtflugverbot eingereicht. Im Laufe diesen Jahres werde es zur Abstimmung kommen. Darin werde die Regierung aufgefordert, ein Nachtflugverbot durchzusetzen. Offensichtlich wolle die Regierung das aber nicht. Verhandelt habe er mit der LINKEN. Einige hätten große Skrupel. Auch die CDU-Fraktion habe er angesprochen. Von der FDP habe er noch gar nichts gehört. Mit den Demonstrationen in Schönefeld solle unbedingt weiter gemacht werden. Es solle vor allem dort demonstriert werden, wo man auch von der Politik gehört werde, nämlich in Potsdam vor dem Landtag. Zwar beeindrucke es die Politiker nicht über Gebühr, wenn noch nicht einmal 10.000 Menschen in Schönefeld demonstrierten, es kratze aber schon. „Was für uns arbeitet, ist die Zeit. Die Flughafenbefürworter werden sehen, was Anspruch und Wirklichkeit ist. Die Landtagswahl 2014 ist der Lackmustest.
Junge Familien mit Kindern werden besonders unter den Auswirkungen des BBI leiden
„Ich sehe nur ein Problem. Der Altersdurchschnitt in dieser Runde liegt über 60. Eigentlich sind doch die jungen Leute betroffen, junge Familien mit Kindern. Die werden die Auswirkungen des Flughafens richtig auszukosten haben mit psychischen Störungen und weiteren gesundheitlichen Schäden. Wissenschaftliche Studien belegen dies“, sagte der Politiker und Mediziner Schulze. Die Verantwortlichen setzten darauf, dass die Menschen resignieren. Er sei zwar noch in der SPD und habe seit 1989 die Politik mit gestaltet. Die Leute, die heute am Ruder seien, hätten mit Sozialdemokratie aber nicht mehr viel am Hut. Es sei über viele Jahre Zeit gewesen, mit den Menschen vor Ort zu sprechen. „Mich persönlich ekelt es an, dass dies nicht geschehen ist.“ Auch die Abstimmung zum Nachtflugverbot im Landtag sei für ihn ein Lackmustest. „Ich biete Ihnen an, Ihr Sprachrohr zu sein“. Er gab den Bürgern den Rat, sich direkt mit Anfragen an den Präsidenten des Landtags zu wenden. Wichtig sei dabei im Betreff das Wort Zuschrift zu verwenden, damit diese Anfragen alle Abgeordneten als Parlamentszuschrift erreichten.
Speer: „Sie haben alle unsere Kräfte zersplittert“
„Wir haben im Moment die Situation, dass es keine einzige Partei gibt, die eine differenzierte Meinung zum Flughafen hat. Ich sehe auch nicht, woher diese Partei kommen könnte“, erklärte Bürgermeister Bernd Speer in seinem Diskussionsbeitrag. Ihm fehle die Hoffnung, dass es bis zu nächsten Landtagswahl eine solche Partei gäbe. Man habe es jenen Kräften, die den Flughafen in Schönefeld wollten, verdammt einfach gemacht. „Sie haben alle unsere Kräfte zersplittert“, sagte Speer. Die Kommunen in der Fluglärmkommission, welche ganz unterschiedlich stark betroffen seien, hätten Entscheidungen der Kommission noch schwieriger gemacht. Allerdings bringe das Ziel, ein strenges Nachtflugverbot durchzusetzen und den Plänen der Drehkreuzfunktion eine Absage zu erteilen, für alle eine echte Entlastung.
Eichwalde habe sich als kleine Gemeinde schon lange mit der Betroffenheit durch den BBI befasst. Hinzu käme durch die Schienenanbindung des Flughafens eine Zunahme des Bahnlärms. Eichwalde habe daher gegen die Schienenanbindung Ost geklagt, aber verloren. „Die weitere Klage gegen den Nachtflug im Planfeststellungsbeschluss ist für mich ein Gradmesser, in wiefern die Justiz noch unabhängig ist, oder ob sie ein Gremium ist, die den Flughafen durchdrücken will“, gab Speer zu bedenken. Die Klage werde im September verhandelt.
Durch Mitarbeit in der Fluglärmkommission seien doch einige Dinge bewegt worden. Die Kommission bleibe weiterhin bestehen. „Denn wir werden auch in zehn Jahren noch über Flugrouten reden.“ Jetzt seien die Ergebnisse an die Deutsche Flugsicherung übergeben worden. Was dabei herauskommen werde, sei aber nicht abzusehen. Die Schreiben der Schutzgemeinschaft der Umlandgemeinden an Bund und Land seien überhaupt nicht ernst genommen worden. Die Bemühungen der Gemeinde Eichwalde im Dialogforum ziele darauf ab, im Lärmschutzprogramm des Bundes vorgezogen zu werden. Derzeit stehe Eichwalde auf Platz 311. „Wir haben neben dem Fluglärm auch noch den zunehmenden Lärm von der Bahn zu ertragen. Wir versuchen weiterhin Druck auf den Bund auszuüben“, erklärte Speer. „Nachdem die endgültigen Flugrouten bekannt gegeben werden, erwarte ich weitere Klagen. Ganz wichtig sind Sie als Bürger, den Protest weiter zu tragen.“
Moch: „Höhe der vorgeschlagenen Ausgleichszahlungen sind lächerlich“
„Auch aus unserer Perspektive ist Entscheidung über Nachtflug der nächste größere Test“, sagte Sven-Olaf Moch, Fraktionsvorsitzender von WIE. Eichwalde verfüge als kleine Gemeinde nur über geringe finanzielle Mittel und könne sich keine großen Sprünge leisten. Es müsse daher versucht werden, Allianzen zu schmieden. „Eichwalde hat vom Flughafen nur Nachteile. Wir sind als Gemeinde in unserer Planungshoheit beschränkt und können nicht mehr frei entscheiden, wo beispielsweise Kindertagesstätten hin gebaut werden“, erläuterte Moch die direkten Folgen des BBI auf den politischen Entscheidungsspielraum im Ort. Beispielsweise käme die Alte Feuerwache nicht für Lärmschutzmaßnahmen in Frage. Dies müsse die Gemeinde selbst finanzieren. Eine andere Frage sei die Verkehrsentwicklung im Ort, die Frage nach einer Bahnquerung. „Wir brauchen für Eichwalde oder Zeuthen einen Tunnel, wo soll er errichtet werden? Wenn wir in Verkehrsinfrastruktur investieren, sollen wir das selbst tragen. Für alle Nachteile, die wir tragen müssen, haben wir noch keine Aussage zu Ausgleichszahlungen erhalten“, erklärte Moch. Zwar sei diskutiert worden, über Fluggäste Geld in Gemeinden fließen zu lassen, doch seien dies nur lächerliche Beträge. „Auch hier müssen die Bürger aktiv werden und ihre Landtagsabgeordneten ansprechen“, knüpfte er an den Aufruf von Schulze an.
Die Eichwalderin Bärbel Spiegel kritisierte, dass die Gemeinde keine eigene Lärmmessstation anschaffen wolle. Moch erklärte dazu: „Die Anschaffung einer eigenen Lärmmessstation wurde in der Gemeindevertretung zwar diskutiert. Aber die Kosten dafür liegen oberhalb von 30.000 Euro.“ Es sei außerdem unklar, wie mit den erhobenen Daten umgegangen werden solle. Denn damit diese in einem möglichen Rechtsstreit verwendet werden könnten, benötige man den notwendigen Sachverstand.
Eberhard Bürger aus dem Ortsteil Lilienthalpark in Waltersdorf berichtete von dem Bemühen der Einwohnerinitiative Schönefeld (EIS), dass die Bürger einen Antrag auf Absiedlung bei der Potsdamer Staatskanzlei gestellt haben. Sie rechnen mit einer durchschnittlichen Lärmbelastung von rund 85 Dezibel mit Spitzenbelastung von bis zu 120 Dezibel. Eingereicht worden sei das Begehren im Dezember vergangenen Jahres. In der Staatskanzlei sei ihnen kürzlich erklärt worden, es sei noch nichts entschieden. Von dem von Ministerpräsident Platzeck versprochenen Bündnis am Boden könne er nichts spüren, es sei nur eine Sprechblase.
Karen Klose aus Eichwalde gab einen Einblick in ihre Erfahrungen, die sie mit ihrer Familie im Zusammenhang mit der Beantragung zur Übernahme der Kosten von Schallschutzmaßnahmen durch den BBI gemacht hatte. Sie kritisierte, dass es seit 2009 eine Ergänzung gebe, wonach bei Altbauten der zumutbare Lärmpegel in Innenräumen von vornherein um drei Dezibel herauf gesetzt worden sei. Außerdem habe sie Fehler in dem Gutachten der Bestandsaufnahme entdeckt. Ihre Einwendungen gegen das Gutachten seien aber vom Flughafen zurück gewiesen worden. Die Gründe der Ablehnung wollte sie vom Flughafen Schönefeld mit Quellen haben. Man habe ihr erklärt, dass es sich dabei um DIN-Vorschriften handele, die man so nicht heraus geben könne. Ein weitere Bürger gab ihr den Rat, wenn es nachweislich Fehler in der Bestandsaufnahme gebe, könnten die Betroffenen ein Gegengutachten erstellen lassen. Die Kosten dafür habe der Flughafen zu tragen.
Weitere Informationen:
- Interview mit Manfred Stolpe in der Berliner Zeitung
- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordneten Hans-Peter Goetz und Christoph Schulze zum Schutz der menschlichen Gesundheit: Umfassendes Nachtflugverbot am BBI von 22 Uhr bis 6 Uhr zu sichern
- Website von Christoph Schulze
- Interview aus der Märkischen Allgemeinen mit Eberhard Müller
Kommentare sind geschlossen.