Einsam in Gemeinschaft – Lehrerin schrieb Buch über ihre Erfahrungen in einer Waldorfschule
Eichwalde. Privatschulen haben oft einen guten Ruf. Denn viele Eltern verbinden die staatlich anerkannten Ersatzschulen mit Bildung auf hohem Niveau. Einen Einblick, unter welchen Bedingungen Lehrer an einer Waldorfschule arbeiten – vor allem, wenn diese noch im Aufbau ist – gibt ein Buch, das im Herbst vergangenen Jahres erschien. Die Eichwalderin Claudia Berhorst verarbeitete Erfahrungen, die sie zwischen 1994 und 1996 an einer Waldorfschule in Berlin sammelte in einem Roman. Die Schule befand sich damals im Gründungsprozess. Von Lehrern und Eltern setzte das viel Geduld voraus. Vor allem die Lehrer brachten viel Engagement ein.
Claudia Berhorst hatte zunächst ihr Referendariat an einer staatlichen Schule unterbrochen. Hoch motiviert begann sie an einer Berliner Waldorfschule als Lehrerin zu arbeiten. Zeitgleich besuchte sie ein Seminar zur Ausbildung als Waldorf-Lehrerin. „Nebenher sollte ich die Steiner-Schriften lesen“, erklärte Berhorst, die inzwischen seit mehreren Jahren an einer staatlichen Schule in Brandenburg arbeitet. Das Seminar habe zwei Jahre gedauert. Zwar sei normalerweise erst im zweiten Ausbildungsjahr ein Praxisjahr vorgesehen, aber die Schule habe sie gleich in die zweite Ausbildungsphase geschickt, fügte sie hinzu. Offensichtlich habe man sie als Lehrkraft dringend gebraucht.
„Die theoretische Ausbildung fand ich sehr entspannt. Dennoch war ich oft sehr unzufrieden. Denn an Waldorfschulen ist der Schulalltag genauso stressig wie an einer staatlichen Schule“, sagte die Eichwalderin. Sie seien im Seminar kaum auf Belastungen im Schulalltag vorbereitet worden. Ebenso seien ihnen nicht die handwerklichen Kniffe beigebracht worden, um in heiklen Situationen im Umgang mit den Grundschülern souverän reagieren zu können, erläuterte Berhorst.
Der anthroposophische Lehransatz sei vor allem Erfahrungssache. Lediglich ein bis zwei Jahre Erfahrung nutzten da überhaupt nichts. Viele Einsteiger könnten die ganzheitliche Sichtweise dieser pädagogischen Form auf Dauer nicht leisten. Das sei keine Unterrichtstechnik, sondern eher eine Lebensphilosophie, so Berhorst.
Im Roman beschreibt die dreifache Mutter als Ich-Erzählerin, wie sie zunächst mit großem Elan eine erste Klasse unterrichtete. Vom Schulleiter bekam sie dabei zunächst große Unterstützung in pädagogischen Sachfragen. Dennoch erkannte sie bald, dass der Schulalltag in der Praxis ganz anders verläuft, als es vom pädagogischen Ansatz Rudolf Steiners ursprünglich vorgesehen war.
Die im Buch geschilderten Schwierigkeiten von Berufsanfängern in der Ausbildung zum Waldorf-Lehrer sind noch immer aktuell und wurden im vergangenen Jahr in einem Fachartikel von Gabriele Hohlmann (Informationen der Hannoverschen Kassen, Nr. 26, Juni 2012) kritisch beleuchtet:
Das Thema Berufseinführung in den Waldorflehrerberuf ist deshalb ein besonders dringlich zu bearbeitendes, weil aktuell cirka 50 Prozent der Berufsanfänger in den ersten Jahren ihre Arbeit niederlegen. Ein vermuteter und teilweise durch Erfahrungsberichte der Betroffenen belegter Grund ist die fehlende oder unzureichende praktische Einführung und Begleitung in die Unterrichtstätigkeit, in die Elternarbeit und die Sozietät des Kollegiums.
Inzwischen vermittelt das Witten/Annen Institut für Waldorf-Pädagogik e.V. Mentoren an Schulen, um gezielt Berufsanfänger in der Praxisphase zu unterstützen. Von diesem Mentorenprogramm hätte womöglich auch Berhorst profitiert.
„Von den menschlichen Erfahrungen profitiere ich noch heute, auch von dem Wissen, das ich während meiner Zeit an der Waldorfschule sammelte“, sagte die Lehrerin rückblickend, die heute Kunst und Geschichte unterrichtet.
Weitere Informationen:
- Einsam in Gemeinschaft – Eine Waldorf-Lehrerin auf steinigen Pfaden, Frieling-Verlag, Berlin, ISBN 978-3-8280-3058-9
- Witten/Annen Institut für Waldorf-Pädagogik e.V.