Martin Henkel, BI Zeuthen: „Wir sind nicht gegen den Flughafen, sondern gegen den Fluglärm“
Zur ersten Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Zeuthen gegen Fluglärm kamen mehr als 1.000 Menschen in die Mehrzweckhalle des Ortes. Aus der Bürgerinitiative heraus gründete sich der Verein Bürger Leben in Zeuthen. Täglich bekommt der Vorsitzende Martin Henkel neue Mitgliedsanträge. Daher kann er derzeit gar nicht genau sagen, wie viele es inzwischen sind. Derzeit, schätzt er, mögen es etwa 1.500 Mitglieder sein. Die Eichwalder Nachrichten haben mit ihm gesprochen.
Eichwalder Nachrichten (EN): Ist die Bürgerinitiative gegen den Flughafen am Standort Schönefeld?
Martin Henkel: Nein, kann man ganz klar sagen, wir führen eine Diskussion um die Flugrouten. Wir sind für Planungssicherheit und wollen, dass das Vertrauen in die Politik wieder hergestellt wird.. Den Standort lehnen wir nicht grundsätzlich ab.
EN: Wie steht die Bürgerinitiative Zeuthen gegen Fluglärm zu den Forderungen des Bürgervereins Brandenburg Berlin (BVBB) nach einem sofortigen Baustopp?
Henkel: Wir haben eigentlich Wenig, was uns trennt, aber Vieles was uns vereint. Es sollten so wenig Menschen wie möglich vom Fluglärm betroffen sein. Der Lärmschutz muss immer Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit haben. Mit unserem Standpunkt gegen den Nachtflug verfolgen wir ebenfalls das gleiche Ziel. Wir haben allerdings unterschiedliche Ideen, wie man diese Ziele verwirklichen kann. Der BVBB will einen sofortigen Baustopp und den Bau des Flughafens an einem anderen Standort.
Wir halten den Standort für Schönefeld ebenfalls für unglücklich. Die Gutachten im Raumordnungsverfahren in den neunziger Jahren haben ganz klar für Sperenberg votiert. Unsere Überzeugung ist jedoch folgende: Die Planungen und der Bau am Standort Schönefeld sind weitestgehend abgeschlossen. Inzwischen sind schon rund drei Milliarden Euro verbaut worden. Unsere Arbeit konzentriert sich deshalb darauf, dass es keine neuen Betroffenen geben darf, sondern die Flugrouten die in den vergangenen zehn Jahren publiziert wurden beibehalten werden. Sehr viele Zeuthener Familien haben ihr Vertrauen darauf gesetzt, dass es bei den ursprünglich im Planfeststellungsbeschluss beschriebenen Flugkorridoren bleibt. So ist zum Beispiel in der vergangenen Woche eine Familie unserem Verein beigetreten, die bislang stark vom Fluglärm betroffen war und daher eigens nach Zeuthen gezogen ist. Sie haben ihr Häuschen für wenig Geld verkauft und neue Schulden aufgenommen um ein neues Haus in Zeuthen zu finanzieren. Die gleiche Situation trifft auch auf die Gemeinde Zeuthen und viele andere Ortschaften zu. Alle Strukturmaßnahmen, Neubauten von Schulen und Kindergärten wären von den neuen Flugrouten betroffen. Unsere Kernforderung ist daher ganz klar die Rückkehr zu den Flugrouten, wie sie im Planfeststellungsbeschluss kommuniziert wurden – also der Geradeausflug und keinen unabhängigen Parallelbetrieb auf beiden Startbahnen. Ich selbst habe mit der Flughafen Berlin Schönefeld GmbH (FBS) gesprochen als wir uns hier niederlassen wollten. Auch damals, 2007, wurden eindeutig die Routen genannt, wie sie in den Lärmschutzbroschüren veröffentlicht waren. Wir verschließen uns keineswegs besseren Routen. Wenn es Möglichkeiten gibt, die besser sind, als die ursprünglichen oder derzeit geplanten unterstützen wir das. Bei der Festlegung der Routen darf es aber keine neuen Betroffenen geben.
EN: Welche rechtlichen Möglichkeiten hat die Bürgerinitiative, gegen die geplanten Flugrouten vorzugehen?
Henkel: Rechtlich können wir erst etwas machen, wenn die Flugrouten feststehen. Das befriedigt aber nicht die betroffenen Bürger, weil der Rechtsstreit sicher über viele Jahre geführt werden müsste. Das Planfeststellungsverfahren ist abgeschlossen, man kann jetzt nicht mehr juristisch dagegen vorgehen. Allerdings prüfen wir derzeit in unserer Arbeitsgruppe Recht, ob es noch möglich ist, den Weg der Klage zu beschreiten. Es scheint so zu sein, dass es eine gewisse Chance dafür gibt. Denn jene Zeuthener Bürger, die sich direkt an den Flughafen gewandt haben, bekamen von der FBS schriftlich bestätigt, dass Zeuthen nicht vom Fluglärm betroffen sei.
EN: Seit dem 8. November 2010 sind Sie zusammen mit Bürgermeisterin Beate Burgschweiger als Vertreter der Gemeinde Zeuthen in der Fluglärmkommission. Welche Einflussmöglichkeiten sehen Sie darin?
Henkel: Da sind ganz klar zwei Aspekte zu sehen. Formaljuristisch ist die Fluglärmkommission ein rein beratendes Gremium. Sie kann Vorschläge unterbreiten und der Deutschen Flugsicherung (DFS) vorlegen. Diese muss die Anträge prüfen. Wenn die DFS die Vorschläge ablehnt, hat Kommission keine rechtliche Handhabe, dagegen vorzugehen. Man muss aber auch bedenken, dass in der Kommission keine Menschen sitzen, die automatisch Fachkompetenzen hinsichtlich der Flugroutenplanung mitbringen. Was ich aber sehr wohl glaube ist, dass die Fluglärmkommission ein politisches Gewicht hat. Wenn sie sich auf mehrheitlich auf konkrete Vorschläge, beispielsweise darauf verständigen würde die alten Flugrouten beizubehalten, so hätte das unzweifelhaft eine politische Dimension. Und das Gremium könnte ganz klar dem Lärmschutz gegenüber der Wirtschaftlichkeit den Vorrang geben. Die Entscheidung über die Flugrouten liegt doch letztendlich bei den drei Eigentümern des Großflughafens – also bei Matthias Platzeck für das Land Brandenburg, bei Klaus Wowereit für den Miteigentümer Berlin und bei Verkehrsminister Peter Ramsauer für den Bund.
EN: Welche Position vertreten Sie dort?
Henkel: Da sind vor allem drei Ziele zu nennen: Erstens müssen als Basis aller Ausgangsüberlegungen die alten veröffentlichten Fluglärmkorridore sein. Zweitens sind wir für ein wirkliches Nachtflugverbot. Und Drittens muss Lärmschutz eindeutig vor wirtschaftlichen Interessen stehen. Es kann nicht sein, dass für 30 Sekunden Zeitersparnis bewohntes Gebiet überflogen wird. Das muss doch allen Entscheidern damals klar gewesen sein, dass bewohntes Gebiet überflogen wird, wenn der Flughafen in Schönefeld zum Großflughafen ausgebaut wird. Wäre es damals um einen vollständigen Neubau gegangen – der es aber de facto heute ist – wäre es nie dazu gekommen, dass der BBI in Schönefeld entsteht. Bereits Stolpe hatte als damaliger Ministerpräsident in Brandenburg die Entscheidung für den Standort Schönefeld als menschenfeindlich bezeichnet. Schönefeld liegt mitten in bewohntem Gebiet. Auch heute schon sind wir vom Fluglärm begtroffen. Es macht aber einen Unterschied, ob man von Flugzeugen in 2.000 Meter Höhe überflogen wird oder wie jetzt geplant in durchschlittlich 600 Metern überflogen wird. Da sind wir nahe an der Unbewohnbarkeit.
EN: Glauben Sie, dass die Fluglärmkommission viel ausrichten kann?
Henkel: Wenn Einigkeit besteht, kann das Pendel deutlich Richtung Lärmschutz ausschlagen – erst recht, wenn dieser Vorschlag von Fachexperten unterbreitet wird. Das wäre ein starkes politisches Signal. Der Schutz des Vertrauens in die Politik hat für mich eine hohe Priorität. Wenn dieser Schutz nicht mehr gilt, dann fördert das die Politikverdrossenheit. Da fühlt sich der normale Bürger in seinem Rechtsbewusstsein erschüttert.
EN: Sind Sie der Meinung, dass durch die Erweiterung der Fluglärmkommission auf nunmehr 34 Mitgliedern Entscheidungen über Beschlüsse schwieriger werden?
Henkel: Ich glaube, es hängt nicht von der Zahl der Mitglieder ab, sondern von den handelnden Menschen in der Fluglärmkommission. Jeder hat darin die Mitverantwortung für die effektive Zusammenarbeit zu tragen. Wenn alle mitarbeiten, kann das sogar ein Gewinn sein. Man sollte hier keine Trennlinie einführen, wo Menschen ausgegrenzt werden, die trotz größerer Flughöhe beim Überflug weniger betroffen sind. Bei 1.200 oder 1.500 Metern wird es noch immer laut sein. Daher sollten extrem stark und weniger stark Betroffene an einem Tisch sitzen. Wenn die Eigentümer wollen, dass der Flughafen, jemals von der Bevölkerung akzeptiert werden soll, dann darf der Flughafen nicht zu einem riesigen Drehkreuz der Luftfahrt ausgebaut werden. An diesem Standort wird man keinen Flughafen betreiben können, bei dem wirtschaftliche Überlegungen die oberste Priorität haben.
EN: Wenn man sich die geplanten Flugrouten auf Grundlage der Lärmschutzbroschüre aus dem Frühjahr genau anschaut und darin den um 15° nach Süden abgeknickten Kurs einzeichnet, ist erkennbar, dass die Jets genau zwischen Eichwalde und Zeuthen über sehr dünn besiedeltem Gebiet fliegen werden. Unter der Maßgabe, dass zu Spitzenzeiten die Flughafengesellschaft den unabhängigen Parallelbetrieb nutzt, könnte man doch meinen, dass die Deutsche Flugsicherung ihren Job recht gut gemacht hat. Wie stehen Sie dazu?
Henkel: Auf den ersten Blick mag das so erscheinen. Wenn man aber genauer hinsieht, ist erkennbar wo es deutliche Fehlannahmen gibt. Es ist bei den ersten Entwürfen der Flugrouten, wie sie im September von der DFS vorgeschlagen wurden, Datenmaterial verwendet worden, das nicht aktuell ist. Das weitgehend unbewohnte Gebiet ist inzwischen dicht bebaut worden. Weiterhin finden Kindergärten und Schulen gar keine Beachtung, besonders die in Zeuthen neu gebauten Kindergärten und Schulen wären somit massiv vom Lärm betroffen – sie sollen direkt überflogen werden. Diese wären bei Ostwind täglich betroffen, also bei etwa 30 bis 40 Prozent aller Starts.
EN: Wenn man die Äußerungen des Ministerpräsidenten Platzeck in den Medien verfolgt hat, könnte man den Eindruck gewinnen, dass nun einfach nach dem Motto Augen zu und durch verfahren wird. Gibt es Aspekte, die Sie optimistisch stimmen, dass an den Flugrouten, wie sie die DFS vorgeschlagen hat, noch etwas geändert wird?
Über Martin Henkel
Martin Henkel (40) lebt seit rund drei Jahren in Zeuthen. Der Vater von vier Kindern ist nach Zeuthen gezogen, weil er gerne ins grüne, ruhige Umland wollte. Der Versicherungsmakler arbeitet in Berlin und schätzt die Landschaft rund um Zeuthen als Naherholungsgebiet und die Ruhe des Ortes, aber auch die Nähe zur Großstadt. Bevor er mit seiner Familie nach Zeuthen zog, hat sich er sich ausführlich bei der FBS nach den geplanten Flugrouten erkundigt.
Henkel: Da ist zum einen die klare Aussage von Verkehrsminister Ramsauer, der sinngemäß gesagt hat, die seit zehn Jahren veröffentlichen Routen sollten die Basis aller Überlegungen für neue Routen sein. Diese Aussage hat für uns einen hohen politischen Wert. Und den werden Wowereit und Platzeck nicht so schnell aufs Spiel setzen. Denn das ist die Grundlage der polischen Glaubwürdigkeit. Dazu hat sich Ramsauer glasklar bekannt. Hier erhoffen wir uns auch von Platzeck ein klares Signal. Wir glauben aber, dass es auch für die alten Flugrouten deutliche Möglichkeiten zur Verbesserung gibt, ohne neue Betroffene zu schaffen. Am Beispiel des Flughafens München ist das ganz deutlich zu sehen. Da gibt es meines Wissens etwa 18 verschiedene, fein differenziert ausgearbeitete Routen. So konnte zum Beispiel Freising umflogen werden. Für uns heißt das: Die Lösung liegt nicht in einer einzigen Flugroute, die unmittelbar über Zeuthen verläuft. Platzeck hat mehrfach geäußert, dass Lärmschutz vor Wirtschaftlichkeit des Flughafens geht. Das stimmt uns verhalten optimistisch. Uns ist aber kar, dass wir uns in der Region deutlich gehör verschaffen müssen. Wir reden hier über die Betroffenheit von 30 bis 40.000 Menschen. Das wird manchmal so dargestellt, als würden hier nur wenige Menschen leben.
EN: Die Flughafengesellschaft hat am Freitag vergangener Woche in einer Presseinformation noch einmal unterstrichen, dass sie an dem geplanten Parallelbetrieb mit voneinander unabhängigen Starts und Landungen auf beiden Pisten fest hält. Allerdings hieß es darin, dass dies nur in den Spitzenzeiten notwendig sei. Könnte es also doch nicht so schlimm werden?
Henkel: Wir würden gerne erfahren, wie groß die wirtschaftlichen Einbußen für die FBS wirklich sind, wenn der Flughafen nur auf voneinander abhängigen Routen betrieben wird. Das müsste von unabhängiger Stelle geprüft werden. Bisher gibt es dazu kein Gutachten. Wenn die FBS argumentiert, dass es nur für wenige Stunden am Tag notwendig sei, im unabhängigen Parallelbetrieb zu arbeiten, dann muss ich sagen: Wehret den Anfängen! Ich bin mir sicher, wenn Schönefeld eines Tages der einzige einzige Flughafen in der Hauptstadtregion ist, werden die Fluggesellschaften ihn nicht von den Flugplänen streichen. Wenn man ein großes Drehkreuz für den Flugbetrieb haben will, hätte man eben einen anderen Standort wählen müssen. Es hätte immer klar sein müssen, dass der Standort Schönefeld mit Einschränkungen im Fluggebiet verbunden ist. Die Falsche Standortentscheidung kann heute nicht zu Lasten der Bürger gehen.
EN: Welche fachlichen Kompetenzen hat die Bürgerinitiative Zeuthen gegen Fluglärm?
Henkel: In der Arbeitsgruppe Flugrouten arbeiten mehrere Personen mit, die beruflich damit zu tun haben. Das sind Piloten, Physiker, aber auch Menschen, die sich mit der Planung von Flugrouten im Studium beschäftigt haben. In der Arbeitsgruppe Recht beschäftigen sich sechs Juristen damit, den gesamten Fall aufzuarbeiten. Und unsere Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit kümmert sich um Gestaltung und Druck von Plakaten, um die Organisation der Lärmparade und um die Kontakte zur Presse. Darüber hinaus führen wir Gespräche mit politischen Entscheidern, um sie für das Problem zu sensibilisieren und sie daran zu erinnern, das Vertrauen in die Politik zu schützen. Außerdem profitieren wir vom Zusammenschluss zum Bündnis Berlin-Brandenburg gegen neue Flugrouten. Beispielsweise hat die Bürgerinitiative Kein Fluglärm über Berlin eine eigene Arbeitsgemeinschaft, die sich mit der Gesundheitsgefährdung durch Lärm beschäftigt.
EN: Wie stehen Sie zu den geplanten Änderungen im Luftfahrtgesetz §29b?
Henkel: Hier geht es glasklar um die Aufweichung des Nachtflugverbotes. Wir freuen uns, dass Brandenburg im Bundesrat der Gesetzesänderung nicht zustimmen will, wenn wir den Äußerungen dazu von Ministerpräsident Platzeck vertrauen dürfen.
EN: Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie zur morgigen Lärmparade in Zeuthen?
Henkel: Das ist schwer zu schätzen. Aber mit etwa 3.000 Menschen rechne ich schon – wenn das Wetter mitspielt.
Das Gespräch führte Jörg Levermann
Kommentare sind geschlossen.